Gruppenleiter in WfbM – zwischen Produktion und Rehabilitation!?
Wird dieses Thema in Fortbildungen oder auf Fachtagen thematisiert, entwickeln sich sehr schnell heftige Diskussionen, die teilweise sehr emotional geführt werden. Aus meiner Sicht belegt dies, dass die dahinter liegende Spannung im Alltag von Gruppenleiter*innen eine hohe Anforderung darstellt, die in ihrem Erleben als nicht lösbar erscheint. Zudem scheinen viele Führungskräfte nicht in einen konstruktiven Dialog mit den Gruppenleiter*innen zu treten, um gemeinsam werkstattspezifische Lösungen zur Lösung dieses Themas zu entwickeln. Vielmehr machen sie einseitige Vorgaben, die aus dem Erleben vieler Kolleg*innen die Produktion als primären Auftrag einer Werkstatt darstellen.
Dies ist aber eine fachlich falsche Ausrichtung. Die Spannung von Produktion und Rehabilitation ist in dem gesetzlich verankerten Auftrag jeder WfbM angelegt. Eine Werkstatt für behinderte Menschen hat nach § 219 SGB IX folgende 5 Aufträge:
- berufliche Bildung anbieten
- eine Beschäftigung der behinderten Menschen zu einem der Leistung angemessen Entgelt anzubieten
- die Persönlichkeit der Beschäftigten entwickeln
- Leistungs- und Erwerbsfähigkeit der Beschäftigten erhalten, entwickeln und steigern
- geeignete Beschäftigte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln
Die Punkte 2 und 3 + 4 enthalten die angesprochene Spannung, zum einen Produktionserlöse zu erzielen und daraus die Entgelte der Beschäftigten zu bezahlen (wirtschaftlicher Aspekt des Auftrags der WfbM). Zum anderen soll die Persönlichkeit und die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit entwickelt werden (Auftrag der Rehabilitation).
Aber ist dies wirklich unvereinbar? Eine WfbM ist kein Betrieb, der sich selber finanzieren muss (im Gegensatz bspw. zu Inklusionsbetrieben). Vielmehr handelt es sich um eine Einrichtung der Teilhabe am Arbeitsleben §49ff SGB IX, die hauptsächlich über noch sogenannte Tagessätze finanziert wird, die die zuständigen Leistungsträger pro Kalendertag pro Beschäftigten bezahlen. In der Regel macht das etwa 80% der Einnahmen einer Werkstatt aus. Die restlichen 20% kommen aus den Produktionserlöse. Es gibt durchaus Ausnahmen, wo die Einnahmen aus den Produktionserlösen bedingt höher sind.
Über den Tagessatz auch das Personal wie Gruppenleiter*innen und Bereichsleiter finanziert, damit diese die o. g. 5 Aufträge umsetzen. Damit sind sie keine produktionssteigernde Kräfte, sondern als Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung (gFAB) dafür bezahlt, die Beschäftigten durch Arbeitsangebote zu fördern. Die Zielrichtung der Förderung ist im § 219 SGB IX formuliert. Aus den Erlösen der Produktionsaufträge sind vor allem die Entgelte der Beschäftigten zu bezahlen.
Warum diese Herleitung? Weil vielen Fach- und vor allem gerade Führungskräften dieser Auftrag leider nicht präsent ist und sie deshalb auch diese Spannung nicht denken und versuchen diese zu lösen. Es ist unser Auftrag, mit Hilfe der Arbeit in der Produktion – aber nicht allein darüber – Menschen mit Beeinträchtigungen Teilhabe an Arbeit anzubieten und dabei ihnen Angebote der Rehabilitation anzubieten und diese auch umzusetzen. Das kann m. E. nicht in Frage gestellt werden, sondern muss gelebt werden!
„Wer etwas will, sucht Wege, wer etwas nicht will, sucht Gründe“
Dieser Leitsatz stammt von einem meiner Kollegen und motiviert mich und andere immer wieder, sich über die Zielrichtung des eigenen beruflichen Handelns klar zu werden. Welche Wege gibt es nun zur Lösung dieser Frage?
Ich schlage Ihnen folgende vor:
1. Bei der Kalkulation von möglichen neuen Aufträgen die notwendigen Zeiten für Rehabilitation (Qualifizierung, Unterweisung, Maßnahmen für die Persönlichkeitsentwicklung wie Arbeitsbegleitende Maßnahmen, …) mit bedenken und abbilden. Dieser Vorschlag richtet sich vor allem an die Führungskräfte.
2. Gruppenleiter*innen sind Vorgesetzte der Beschäftigten einer Gruppe, wie schon der Name sagt. Viele sind aber in die Arbeitsabläufe eingebunden, als wenn die produktionssteigernde Kräfte wären. Wenn sie Schritt für Schritt Arbeitsschritte an Beschäftigte übertragen, in dem sie diese dahingehend qualifizieren, schaffen die Gruppenleiter*innen sich die Zeiträume, die sie für die Arbeit der Rehabilitation benötigen.
Das ist im Alltag nicht möglich, sagen Sie? Ich kenne Gruppenleiter*innen, die ganz entspannt in eintägigen Fortbildungen saßen, die ich mit ihnen durchgeführt habe. Auf meine Frage, wer sie an dem Tag vertritt, antworteten sie „Keiner, wir haben gestern besprochen wer heute was macht. Und das klappt. Das haben wir oft zusammen geübt“. Eine gezielte Förderung, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken kann, ermöglicht solch ein Ergebnis.
Das ist ein Beispiel für eine zielgerichtete Arbeit nach dem §219 SGB IX. Da ist der Gruppenleiter als geprüfte Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung tätig.
Dieser Artikel soll zum Nachdenken anregen. Wenn Sie Widersprüche haben, schreiben Sie mir gerne einen Kommentar. Dann können wir die Gedanken vertiefen.
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